zum Thema Digitalisierung – Teil 1
“Die DATEV hat schon die Chefin der Entwicklungsabteilung zu mir geschickt, um sich ein paar Anregungen und Ideen zu holen.”
Digitalisierung – vor der Pandemie ein Buzzword, jetzt während der Coronakrise dringende Notwendigkeit, die scheinbar fast alle Behörden und Unternehmen verschlafen haben. Bei der Steuerkanzlei Scanlan & Partner sieht man die Digitalisierung gelassen. Denn Oliver Scanlan hat schon mit dem Start der Kanzlei das Thema in Angriff genommen. In unserem Gespräch erzählt Oliver, wie es dazu kam.
Frau Merkel hat im Jahr 2013 mal gesagt, dass dieses Internet ja noch Neuland sei für uns alle. Alle haben sich darüber lustig gemacht. Wie ist es bei dir? Siehst du dich als “Neulandbewohner”?
Nein, absolut nicht. Ich arbeite seit meiner Selbständigkeit am Optimieren der digitalen Prozesse. Ich habe mit Beginn meiner Selbständigkeit ein digitales Dokumentenmanagementsystem installiert und schon mit einem Kontoauszugsmanager gearbeitet – damals noch mit einem ganz anderen Programm. Und seit wir auf DATEV sind, haben wir alles digitalisiert.
2018 hat die DATEV das erste Mal den Digitalisierungs-Award vergeben und die Kriterien festgelegt, wie man diesen bekommen kann. Von 50.000 DATEV-Unternehmen haben damals zehn Kanzleien den Preis bekommen. Wir waren eine davon – deutschlandweit waren wir eine der zehn Kanzleien, die diese Kriterien erfüllt hatten!
Ein toller Erfolg.
2019 hat die DATEV die Kriterien abgesenkt. So waren es wenigstens 300 von 50.000 Kanzleien (lacht), die das erfüllt haben. 2020 haben wir den Award auch bekommen. Wir sind ganz weit vorn: Auch unter denjenigen, die diese Auszeichnung bekommen haben, sind wir in unseren Prozessen besonders stark. Wir werden den Award 2021 auch erhalten, weil wir quasi alles, was geht, digitalisieren. Immer, fortlaufend.
Seit deiner Selbständigkeit beschäftigst du dich mit digitalen Prozessen, obwohl du dich selber nicht als Digital Native betrachtest. Man muss sich dazu zwingen, ist es ein Kampf?
Nein, es ist Überzeugung. Ich hatte von Anfang an das Problem, dass ich immer viel zu viel Arbeit und viel zu wenig Mitarbeiter für die Arbeit hatte. Ich hatte aber keine Lust gute Aufträge abzulehnen. Deswegen habe ich mir überlegt, wie ich die guten Aufträge annehmen kann auch ohne die Ressourcen zu haben. Das ging nur mit effizienzgewinnenden Prozessen und die lagen in der Digitalisierung.
Deswegen habe ich das konsequent vorangetrieben, denn Digitalisierung bedeutet ja Automatisierung und effizientere Prozessstrukturen. Das war eigentlich die treibende Kraft, warum ich aus fester Überzeugung das als Chef vorangetrieben habe – manchmal zum Leidwesen meiner Mitarbeiter. Für die eine Hälfte war das gut, die andere Hälfte musste man schon ziemlich stark massieren, und sie mit Überzeugung treiben, damit sie auch mitzogen. Im Nachgang hat Corona natürlich gezeigt, dass das der absolut richtige Weg war.
Momentan gib es nichts, aber auch gar nichts am Markt, wo ich “Hurra” schreie.
Kannst du ein paar Milestones bei der digitalen Entwicklung der Kanzlei nennen?
Das fing 2005 an, als wir den Kontoauszugsmanager und das Dokumentenmanagementsystem (DMS) eingeführt haben. 2016 haben wir dann auf DATEV umgestellt und damit das Unternehmen online eingeführt – die interne digitale Prozessstruktur bekam mit der DATEV-Einführung natürlich eine erweiterte DMS. Die elektronische Bescheidprüfung kam 2018. ProCheck Systeme, die digitale Qualitätssicherung, haben wir im selben Jahr eingeführt.
Die Rechnungsstellung wurde 2019 elektronisch. Im selben Jahr kam die digitale automatisierte Kreditbearbeitung, das heißt, die Mandanten nehmen einen Kredit auf, beispielsweise einen Ratenzahlungskredit, der bei uns im System eingepflegt wird. Das wird dann automatisch verbucht, was gleichzeitig automatisiert einen Verbindlichkeitenspiegel erstellen, Restlaufzeiten überwachen und die Darlehensstände automatisieren kann.
Inzwischen gibt es digitale Mandantenakten und Abschlussakten, auch Posteingang und Postausgang sind digitalisiert. Gleichzeitig sind wir in einem Pilotprogramm mit den Banken und Finanzinstituten – wir haben einen elektronischen Nachweisaustausch mit der Finanzverwaltung.
Dann gibt es noch Doktor Bob. Das ist der digitale Mitarbeiter, der die Auftragsüberwachung und Zeiterfassung durchführt. Er scannt, ob der Auftrag bearbeitet wurde. Wenn der Auftrag abgeschlossen ist, wird abgerechnet. Doktor Bob schaut, ob zu diesem Auftrag das ProCheck System gelaufen ist und so weiter. Er überprüft die ganzen Querverweise und gibt dem Mitarbeiter einen Hinweis, dass vielleicht etwas nachzuholen ist. Beim zweiten Mal kommt der Hinweis mit CC an die Geschäftsführung und spätestens dann funktioniert das System. All diese Themen werden von uns permanent getrieben und wenn es etwas Neues gibt, wird es gemacht.
Gibt es ein neues Tool, was ganz neu auf dem Markt ist und dich interessiert?
Momentan hat Corona eher gebremst, weil man sich mehr damit beschäftigt, dass es läuft, deswegen gibt es aktuell kein neues Automatisierungsprojekt. Außerdem haben wir standardmäßig die meisten Programme schon. Gleichzeitig haben wir ein digitales Kanzleiführungs-Cockpit, wo wir sehen, wie automatisiert unsere Prozesse laufen. Das ist dieses Jahr dazugekommen. Momentan gibt es nichts, aber auch gar nichts am Markt, wo ich “Hurra” schreie.
Du hast vorhin erwähnt, dass 50% der Mitarbeiter von Anfang an mitgezogen hat und die anderen musste man, nennen wir es mal so, zu ihrem Glück zwingen.
Weil wir das immer im normalen Arbeitsalltag gemacht haben. Und da man die Kapazität fast immer an der 100%-Linie fährt, kamen Prozessveränderungen immer on top. Und da gab es eben ab und an bei einigen eine Verweigerungshaltung: Da hat jemand gerade keine Zeit für eine Verbesserung, weil es immer erst eine Investition von Zeit bedeutet, um dann einen Effekt zu erzielen. Da gab es schon viele Schwierigkeiten, aber seit Corona hat keiner mehr ein Problem damit, weil jeder verstanden hat, wofür diese Dinge alle gut sind. Dieses Jahr haben wir natürlich Kommunikation und Konferenzen über Zoom und Teams als neueste Einführung, das haben wir vorher nicht gebraucht.
Gibt es Tipps oder Best Practices für andere Steuerberatungen? Wenn du diesen ganzen Prozess noch einmal machen würdest, was würdest du anders machen?
Früher anfangen.
Früher anfangen?
Genau. Viele Dinge noch früher machen, denn umso später man sie tut, umso größer ist die Arbeit der Umstellung. Ich würde es einfach noch früher machen. Der Tipp, die Best Practice ist: Der Kopf muss dahinterstehen. Die Kanzleiführung oder der Unternehmer muss das treiben, weil wenn er es nicht treibt, geht’s in die Hose, weil die Mitarbeiter es im Zweifel nicht treiben.
Der Steuerberater an sich ist nicht dafür bekannt State-of-the-art Technologie zu nutzen.
Das ist auch ein allgemeines Phänomen. Mitarbeiter merken ganz schnell, ob der Chef dahintersteht und das unbedingt will und auch überwacht, dass es umgesetzt wird – oder nicht. In dem Moment, in dem der Mitarbeiter merkt, dass der Chef zwar sagt, was State-of-the-art ist, aber sich sonst nicht für die Ausführung interessiert: Dann geht das Projekt baden. Man muss am Ball bleiben, die Meilensteine überwachen und überprüfen und nachfassen, nachhalten.
In dem Moment, in dem der Mitarbeiter merkt, dass der Chef zwar sagt, was State-of-the-art ist, aber sich sonst nicht für die Ausführung interessiert: Dann geht das Projekt baden.
Habt ihr eine Roadmap für die Einführung von neuen Tools oder neuen Prozessen oder geht das aus der Hüfte geschossen?
Hier ist die Roadmap! (deutet auf seine Schläfe). Wir machen Partnermeetings, wir machen Jours fixes, wo das festgelegt wird. Vor zwei Jahren haben wir Strategietage veranstaltet, wo wir entschieden haben, wo wir hin wollen. Das ist in der Umsetzung. Und nächstes Jahr wird wieder ein Strategietag kommen.
Gibt es denn weitere Ideen, die du für die wahrhaft digitale Kanzlei hast? Vieles kommt noch auf Papier an und muss digitalisiert werden.
Ja, aber vieles ist softwareanbieterabhängig. Die Schnittstellen müssen noch viel besser ineinander greifen. Es gibt immer noch zu viele Systembrüche und da muss man händisch eingreifen, obwohl es eigentlich nicht notwendig wäre.
Dann wäre nicht schlecht, wenn sich die Softwareanbieter mal absprechen würden.
Die DATEV hat schon die Chefin der Entwicklungsabteilung zu mir geschickt, um sich ein paar Anregungen und Ideen zu holen. Sonst bekommt mein DATEV-Betreuer von mir immer den Kopf gewaschen, wenn etwas nicht funktioniert, was man noch ändern müsste. Und deshalb hat er die Entwicklungschefin einfach mal mitgenommen. Deswegen bin ich in einigen Pilotprojekten und unterstütze die DATEV in ihrer Entwicklung.
Die Kanzlei ist also Betatester oder Pilotuser. Kannst du uns ein Projekt nennen, an dem ihr mit der DATEV dran seid?
Das DATEV-Cockpit ist durch meine Initiierung geschaffen worden. Ich habe mir das Tool von DATEV Österreich besorgt. Das war jetzt keine Inhouse-Lösung, sondern ein Hilfstool, ein Excel-Tool. Aus Österreich ist die Auswertung für mich gemacht worden und dann habe ich das meinem DATEV-Betreuer gezeigt mit der Frage, wieso wir das nicht haben. Die DATEV Deutschland hat daraus ein Programm geschrieben und das dann für Deutschland ausgerollt. Und ich war der erste in Deutschland, der das hatte.
Andere Steuerkanzleien würden eine Pressemitteilung daraus machen und ihr habt das einfach still und leise im Hintergrund gedeichselt. Wie siehst du die Zukunft der Steuerberatungen? Es hat ja jetzt im Prinzip schon angefangen, aber ich glaube viele deiner Kollegen haben den Schuss noch nicht gehört.
Da hast du was Wahres gesagt. Es wird auf den zweiten Teil des Wortes ankommen: Steuer-BERATUNG. Das ist letztendlich unser Geschäft. Denn Beratung wird niemals digitalisiert werden können. Die Begleitung und Unterstützung von Mandanten, was ja eigentlich im Denken unsere Hauptaufgabe ist, aber durch die administrative Fülle nie richtig zum Tragen kommt und immer im Hintergrund steht, die wird sich in den Vordergrund bewegen.
Diese ganzen trivialen Tätigkeiten wie Buchführung, Bescheidprüfungen usw. werden alle elektronisch passieren. Diese Aufgaben werden ein Nicht-Honorar werden und es wird ganz viel Umsatz wegfallen. Die Kanzleien, die im Durchschnitt Beratungsumsätze im einstelligen Prozentbereich haben, wenn sie gut sind – viele haben auch gar keine – ihnen wird ein Großteil der Umsätze wegbrechen. Wir hingegen entwickeln uns dahin, dass wir mehr und mehr beraten. In unserer Kanzlei haben wir mittlerweile eine Beratungsquote von mindestens 20%.
Seien Sie gespannt auf den zweiten Teil.
Noch kurz vor Jahresende Beratung gesucht?
Wir kümmern uns.