Oliver Scanlan zum Thema Führung, Teil 1
„Es ist meine Überzeugung, die Potenziale der Mitarbeiter zu fördern und sie nach vorn zu bringen“
Auch dieses Mal treffen wir Oliver Scanlan virtuell. Wir widmen uns dem Thema Führung – und kommen doch auf viel mehr Themen zu sprechen: Über Kommunikation im Unternehmen, Vertrauen und warum der Fußballspieler auf der Bank der unglücklichste Spieler ist.
Wir beschäftigen uns mit dem Thema „gute Führung“. Du kennst sicherlich Elon Musk, den Über-Entrepreneur.
Ja, klar.
Der hat vor Jahren von sich in einem Interview behauptet, er sei ein Nano-Manager. Er ist also extrem produktfokussiert, sogar produktbesessen hat er sich genannt. Ihm fallen immer die ganzen Fehler auf und Lob ist schwer bei ihm zu bekommen. Erkennst du dich da ein bisschen wieder?
Nein, eher nicht. So verrückt wie Elon Musk bin ich noch lange nicht. Ich bin schon auch verrückt, aber nein, ich bin kein Nano-Manager. Mein Führungsgrundsatz ist sehr vertrauensbasiert. Jeder bekommt bei mir einen Vertrauensvorschuss. Das ist ein hohes Gut. Bekommt man genau einmal und dann nie wieder. Die Mitarbeiter bekommen Leitlinien und Leitplanken, die sie nicht verlassen dürfen. Wenn sie an die Grenzen kommen, dann erhalten sie einen Hinweis.
Das ist meine Idee von Führung – dazu kommt auch, dass man wertschätzend führt. Stress bekommt man genug an anderer Stelle, da soll man sich gegenseitig nicht noch mehr Stress machen, indem man sich anbrüllt. Letztendlich muss man sich die Werkzeuge und Systeme für gute Führung bauen, damit das auch funktioniert. Man muss aktiv führen insofern, als man nah an den Menschen ist. Aber nicht: Ich Chef, du nix. Sondern an der Sache orientiert.
Es gibt in der Führung die beiden Themen Unternehmensführung und Personalführung. Was verstehst du darunter? Ist das für dich getrennt oder fließt das für dich ineinander?
Stark getrennt ist es nicht. Unternehmensführung bedeutet, sich einer Vision oder einer Mission unterzuordnen: Unternehmensvision und Unternehmensmission. Man überlegt, wo man hin will und wer und was man sein möchte. Und die Personalführung ordnet sich letztendlich dem unter. Ich muss das leben, was ich sein möchte, weil ich das sonst nie bekommen werde. Deswegen sind Personal- und Unternehmensführung in meinen Augen sehr nah beieinander. Es sind zwar für sich gesehen getrennte Punkte, aber am Ende funktioniert das eine nur mit dem anderen.
Das Gesamtpaket muss stimmen und greift ineinander.
Ich weiß nicht, ob das jetzt die reine Lehre ist. Es ist meine innere Überzeugung.
Über Glück und Personalführung
Wenn man Personal gut führen will, könnte ein Ziel sein, dass die Mitarbeiter:innen glücklich sein sollen. Zum Beispiel könnte man das erreichen, indem sie weniger ausgelastet wären. Das würde dann aber letztendlich dem Ziel des Unternehmens entgegenstehen.
Ich glaube nicht, dass ein Mitarbeiter glücklicher ist, wenn er weniger ausgelastet ist. Dann wäre der Fußballspieler auf der Bank glücklich. Das sind aber immer die unglücklichsten, weil sie nicht spielen dürfen. Obwohl drei Mal die Woche Fußball zu spielen eigentlich viel physischen und psychischen Stress bedeutet.
Vielleicht ist „unglücklich“ das falsche Wort: Es geht um Erfülltsein oder das positive Gefühl, wenn ich mich in meinen Stärken und Themen fortentwickeln kann und da auch gefördert werde. Dass ich nicht gebremst werde oder in engen Schranken bin. Statt zu sagen: „Du bist Steuerfachangestellter, halt mal den Rand,“ sollte man eher ermutigen: „Mach das, probier’s, wir gucken, wie weit wir kommen.“ Dann entwickelt sich der Mitarbeiter und damit auch das Unternehmen.
Womit wir wieder beim Vertrauensvorschuss wären. Von vornherein daran glauben, dass der Mitarbeiter etwas kann.
Genau. Er kommt dann vielleicht an sein Limit. Aber oft läuft es anders, nur ein Beispiel: Eine unserer Mitarbeiterinnen ist inzwischen über zehn Jahre hier. Bei ihr wusste ich schon zu Beginn, dass sie sehr viel Potenzial hat. Wenn ich ihr damals gesagt hätte, wo sie in zehn Jahren stehen würde, dann hätte sie mich für verrückt erklärt.
So etwas funktioniert nur, wenn der andere diese Entwicklung auch möchte und will. Da müssen Vertrauen und das Wissen auf die Stärken des Mitarbeiters und das Fördern und Fordern dieser Stärken zusammenkommen. Wenn der andere sich verweigert, kann ich noch so viel Potenzial sehen, diese Stärken werden nie zum Vorschein kommen. Wenn der andere das aber annimmt, dann entwickelt er sich weiter.
“Ich habe mir geschworen, dass ich mich in meiner Kanzlei an das erinnern werde, was mir damals massiv nicht gefallen hat.”
Im Rückblick zeigt sich oft erst, was man geschafft hat. Wenn man noch mitten in der Entwicklung steckt, ist das gar nicht so leicht nachzuvollziehen.
Ja, vor allem ist das auch ein Spannungsverhältnis. Man hört manchmal von Mitarbeitern, die gefördert werden wollen ohne Stress (lacht). Aber Entwicklung bedeutet immer über seinen Komfortpunkt hinauszugehen. Und immer wenn ich über meinen Komfortpunkt gehe, tut das im ersten Moment weh. Da muss ich nämlich etwas Vertrautes und Bekanntes verlassen, auf etwas Neues zugehen. Das bedeutet immer Anstrengung und Erschöpfung.
Genau wegen dieser Anstrengung sehe ich in dem Moment natürlich nicht, dass ich mich gerade entwickle. Aber wenn man das macht und sich dann umschaut, was man sich für Fähigkeiten angeeignet hat, weil man über die Komfortpunkte hinausgegangen ist, dann sieht man, wie man sich entwickelt hat. Das bekomme ich nicht zum Nulltarif.
Von daher ist es meine Überzeugung, die Potenziale der Mitarbeiter zu fördern und – wenn der andere das möchte – ihn nach vorn zu bringen. Das bedeutet nicht, dass das ein Spaziergang im Sonnenschein wird, sondern die Menschen formt das Gewitter und die Anstrengung.
Welche Erfahrungen hast du als Geführter gemacht?
Ich habe alles erlebt. Deswegen hat sich bei mir die Überzeugung ausgebildet, dass die Gründung der richtige Weg ist. Ich war Angestellter, habe die Lehre zum Steuerfachangestellten gemacht. Da hieß es „Ich Chef, du nix.“ Ich hatte nie eine Beziehung zu diesem Unternehmen.
Dann kam ich in eine andere Kanzlei. Da gab es den Senior-Chef mit einer Aura, wie man sich das so bei einem Senior-Chef vorstellt. Daneben gab es noch einen Partner, ein genialer Mensch, dem aber empathische Fähigkeiten fehlten. Man hat eigentlich immer nur den Senior Chef wirklich als Chef wahrgenommen. Der hatte genau diese Philosophie mit dem Vertrauensvorschuss: „Du machst das jetzt und ich entwickle dich.“
Da habe ich gemerkt, dass ich Höchstleistung erbracht habe. Er hat später an den Junior Chef abgegeben und bei ihm war es eher so: Das sind die Steuerberater und das sind die Führungskräfte und wir freuen uns jeden Montag, wie toll wir sind, wir beklatschen uns gegenseitig. Der Mitarbeiter ist ein Depp, der Mandant ist ein Depp, alle sind Deppen. Da sind meine Leistungsfähigkeit und meine Ertragskraft um 50% gefallen, weil ich keinen Bock mehr hatte. Ich habe Dienst nach Vorschrift gemacht. Warum soll ich hier mehr geben?
Ich habe mir geschworen, dass ich mich in meiner Kanzlei an das erinnern werde, was mir damals massiv nicht gefallen hat. Ich versuche immer, dass Angestellte sich persönlich geschätzt fühlen. Je mehr es werden, umso schwieriger wird es. Es ist letztendlich die Idee, dass wir alle als Summe der Teile stark sind und alles gemeinsam nach vorne bringen, nicht der Einzelne.
“Wenn ich ein Kontrollfreak wäre, dann würde das Unternehmen irgendwann stehen bleiben. Geht nicht.”
Du hast also einiges an abschreckenden Beispielen am eigenen Leib erlebt.
Ich habe Positives und Abschreckendes erlebt und gemerkt, welche Seite mich massiv gefördert hat und welche mich dazu gebracht hat, innerlich zu kündigen und keinen Einsatz mehr zu zeigen. Dadurch sind auch meine Überzeugungen entstanden. Ich habe aber auch festgestellt: Vertrauen allein bringt auch nichts, dann läuft man ganz schnell Gefahr, in merkwürdige Fahrwasser zu kommen. Man braucht schon Leitlinien.
Zumal jeder Mitarbeiter ja auch anders ist. Die einen brauchen vielleicht ein bisschen mehr Leitplanken, andere kannst du mehr schwimmen lassen.
Ja, den drosselst du in dem Moment, wenn du ihm enge Leitplanken gibst. Der eine braucht eine sachliche Ansprache, der andere braucht eine fordernde Ansprache, der nächste braucht ein bisschen eine fröhlichere Ansprache. Es ist jeder in seinem Wesen anders.
Letztendlich ist der Konflikt immer zu versuchen, dass man demjenigen, mit dem man gerade spricht, genau die richtige Ansprache gibt, damit er auch persönlich positiv beeinflusst wird. Es kann aber wieder ein Konflikt entstehen, wenn jemand die Ansprache bemerkt und dann denkt, man bevorzuge den anderen.
Ist das dein Anspruch an dich als Führungskraft, auf den jeweiligen Mitarbeiter so einzugehen, dass er seine Höchstleistung abrufen kann?
Ja. In dem Moment ist das ja auch das Beste für das Unternehmen, für die Entwicklung des Unternehmens und das allerbeste auch für den Mitarbeiter. Durch seine kontinuierliche Verbesserung bekommt er immer hochwertigere Aufgaben, er entwickelt sich in seiner Persönlichkeit, in seinen fachlichen Fähigkeiten und in seinem Verdienst weiter. Letztendlich kommt es dem Mitarbeiter und dem Unternehmen zugute. Wenn ich ein Kontrollfreak wäre, dann würde das Unternehmen irgendwann stehen bleiben. Geht nicht. Man muss es multiplizieren.
Also nix mit Nano-Manager.
Nein. Das bin ich nicht. Ich bin ein Mensch, der das Pareto-Prinzip favorisiert – mit 20% Aufwand 80% Ertrag zu haben. Anstatt mit 80% die letzten 20% zu erreichen.
Über Homeoffice und (digitale) Führung
Das spart auf jeden Fall viel Zeit und Nerven. Du hast bestimmt gesehen, dass ich nach wie vor im Homeoffice bin. Wie ist es denn aktuell bei euch?
Wir hatten ein Homeoffice-System, wo jeder Mitarbeiter zwei Tage die Woche Homeoffice machen konnte. Aber es war keine Verpflichtung. Die Erfahrungen mit Homeoffice haben dazu geführt, dass wir auf einen Tag Homeoffice in der Woche reduziert haben. Dadurch, dass immer andere Mitarbeiter nicht da sind, merkt man gar nicht mehr, was für eine Unternehmenskultur herrscht. Der persönliche Kontakt zu den Mitarbeitern fehlt. Somit ist es auch viel schwieriger eine Beziehung aufzubauen, es fehlen die Fragen über den Gang.
Ich habe gespürt, dass gewisse Dinge entgleiten und unschärfer werden und dass das nicht gut ist. Deswegen haben wir wieder auf einen Tag Homeoffice reduziert. Diese Regelung hatten wir schon bevor die Corona-Zahlen so schlimm waren. Das hat sehr gut funktioniert und da war der negative Effekt auf den Zusammenhalt nicht so stark. Wir rufen die Schäfchen wieder in die Herde.
Was heißt das nun für des Thema Führung? Wenn du sagst, der Zusammenhalt und die Kommunikation wurden schlechter, weil man nicht auf Zuruf Dinge regeln kann: Hat sich das negativ auf die Führung ausgewirkt?
Ja, es ist schwierig. Man kann nicht alles nur mit Mails klären. Man kann es versuchen, nur hat Kommunikation vier Seiten und die Mail nur zwei, nämlich Sender und Empfänger. Aber das Nonverbale, das ich als Sender sagen möchte, ist möglicherweise beim Empfänger genau gegenläufig angekommen. Wenn ich mit jemandem spreche, habe ich eine Stimmfarbe, eine Reaktion auf der gegenüberliegenden Seite. Der andere kann sehen, ob man freundlich gestimmt ist oder im Stress ist.
“Man kann nicht alles nur mit Mails klären.”
Es ist natürlich auch schwierig, diese emotionale Ebene zu transportieren, selbst mit Tools wie Microsoft Teams.
Es ist eine ergänzende Kommunikationsform, von der ich denke, dass sie bleiben wird. Eine Teams-Sitzung ist schnell gemacht. Aber es ist nicht das Allheilmittel. Es ist nicht die neue Art, dass man sagt, wir sind im Homeoffice und alle nur noch über Teams erreichbar, das funktioniert nicht.
Damit haben wir schon die nächste Frage beantwortet, ob man das Thema gute Führung technisch lösen kann. Du würdest wohl eher nein sagen.
Das kann man mit Sicherheit, nur mit welchem Aufwand, ist die Frage. Das ist wie die Verknüpfung Personalführung und Unternehmensführung. Wenn ich das getrennt sehe, dann beantworte ich das klar mit Ja. Wenn ich aber sage, das Kapital meines Unternehmens ist mein Personal und da muss ich schon eine Identifizierung meines Personals mit dem Unternehmen haben, dann bin ich der festen Überzeugung, dass Führung digital nur punktuell geht.
Manche Sachen müssen eben so bleiben, wie sie sind.
Ich höre ein klein wenig Enttäuschung! (lacht)
Es klingt sehr negativ, aber weil wir alle Menschen sind, ist der menschliche Faktor auch unheimlich wichtig.
Jeder merkt doch, wie sehr ihn das Treffen mit Freunden, der Restaurantbesuch, das Konzert, das Fußballspiel fehlt. Warum fehlt einem das? Weil man isoliert ist, keine sozialen Kontakte hat. Ein Unternehmen bedeutet auch soziale Kontakte. Die sind wichtig und die braucht man und das hat nichts mit Kontrollzwang zu tun oder weil ich der Meinung bin, man könnte zuhause nicht arbeiten. Sondern ich glaube, dass Menschen mehr psychisch belastet sind, wenn sie nur von daheim arbeiten. Außer ich arbeite schon immer allein und organisiere mich sowieso immer selbst, dann brauche ich das Büro nicht. Aber auch ein Steuerberater ist mehr Mannschaftssportler als Einzelkämpfer, glaube ich. Bald geht es weiter in Teil 2 unseres Interviews
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