Oliver Scanlan zum Thema Führung, Teil 2
„Man kann nicht nur führen. Man kann nur führen mit Verstehen.“
Im zweiten Teil unseres Interviews erklärt Oliver Scanlan, welche Führungsaufgaben den Mitarbeiter:innen der Scanlan Steuerberatung offen stehen, welche Tipps er für angehende Führungskräfte hat und warum man auch als Führungskraft fachliches Verständnis haben sollte. Und auch die Pandemie ist wieder mal Zaungast.
Kleine Randnotiz: Noch nie mussten wir so viele Kraftausdrücke zensieren. Wenn das keine Leidenschaft ist.
Wenn das Unternehmen größer wird, wird das natürlich auch dazu führen, dass es eigene Teams gibt, die wiederum Teamleiter haben werden – Stichwort Weiterentwicklung. Gibt es sowas wie eine Führungskraft oder einen Senior, der Aufgaben vorgibt?
Wir haben das Mentorenprinzip, nicht Teamleiter, weil das schon zum Ausdruck bringen soll, dass es nicht um eine disziplinarische Ordnung handelt, sondern eine helfende Ordnung sein soll. Das soll schon in diesem Wort Mentor ein bisschen deutlich werden. Aber letztendlich sind das Führungskräfte, die eine Gruppe von Mitarbeitern führen und unterstützen. Die sollen idealerweise die gleichen Werte verinnerlichen, wie ich sie habe. Es bringt ja nix, wenn ich sage „bitte wertschätzend!“ und der Mentor ist ein A*. (lacht)
Wichtig ist, dass die Werte in einem Unternehmen gelebt werden. Dass diese Verbundenheit dann auch da ist und dass das eine Überzeugung ist. Das gilt auch für die Mentoren: Wenn Mentoren nicht weiterkommen, fragen sie um Rat. Dann versucht man Werkzeuge an die Hand zu geben, dass sie die Situation meistern können.
Wir wird man Mentor?
Man sollte natürlich gewisse Fähigkeiten mitbringen. Es ist die Summe aus fachlicher Natur und menschlicher Natur. Der Mentor muss kommunizieren können, denn letztendlich ist ja alles Kommunikation. Und: Er muss helfen können. Also muss er Tutor sein können, seine Fähigkeiten weitergeben können. Es bringt nichts, wenn jemand nur Wissen besitzt, dann kann er kein Mentor werden.
Ich kann entweder alles selbst machen oder ich kann Multiplikatoren schaffen. Aber das Problem mit den Multiplikatoren ist, ich muss sie mir so schaffen, dass sie entsprechend meiner Idee und meiner Fähigkeiten genauso oder besser arbeiten als ich. Das muss ich erkennen. Wenn ich nur sage „das mache ich schnell selber“, komme ich nicht weiter.
Wird man zum Mentor berufen oder kann man auch sagen „Ja, ich will Mentor werden, was muss ich dafür können und was muss ich dafür machen?“
Man kann den Wunsch natürlich äußern, aber nur weil jemand behauptet er könne das so gut, wird er es nicht. Und meistens kristallisieren sich diese Dinge schon während der normalen Arbeit heraus: Zu wem gehen die Mitarbeiter und stellen Fragen und wie reagiert diese Person darauf? Wenn jemand ständig gemieden wird, der aber sagt, er möchte Mentor werden, ist es vielleicht der falsche Ansatz. Dann müssen wir daran arbeiten, dass diese Person das auch werden kann.
Beides kommt zum Tragen. Man wird berufen, also man fragt denjenigen, ob es für ihn oder sie vorstellbar ist Mentor zu werden. Dann sagt derjenige Ja oder Nein. Es gibt den ein oder anderen, der sagt, dass er sich das vorstellen könnte. Den hat man dann natürlich auf dem Schirm und gibt demjenigen Informationen, was man von einem Mentor erwartet und schaut sich das eine Weile an, ob das funktioniert. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, nimmt man ihn als Mentor. Oder man erkennt, dass es erst später eine Option sein könnte.
Aber wenn jemand an sich arbeitet, um Mentor zu werden, muss er sich wahrscheinlich nochmal bewähren, um dann tatsächlich Mentor werden zu können.
Natürlich. Es gibt Aufgaben, Themen und Unterstützungsbedarf auch außerhalb der Mentorenrolle. Ob das technisch ist, im Digitalen oder wie auch immer, wo man den Nachweis erbringen kann, dass man der perfekte Mentor ist. Wenn die Mitarbeiter sagen: „Mensch, ich will nur vom Herrn Müller oder Frau Müller geschult werden. Es klappt so perfekt miteinander.“ Dann wird er oder sie mit Sicherheit auf der Kandidatenliste ganz oben stehen.
Wenn jemand Mentor werden möchte, auch wenn die Kollegen das noch nicht so sehen, dann gibt man demjenigen die Hilfestellung, was er verändern könnte, damit er sich entsprechend entwickelt. Die Idee bei uns in der Kanzlei ist: Jeder unterstützt jeden. Das fließt in ein Bonussystem mit ein, das man sich am Ende des Jahres anschaut. Da gibt es auch eine Gewichtung der Unterstützung für andere. Wir wollen uns gegenseitig unterstützen, wir wollen nicht in einer Ellenbogenkultur arbeiten.
…und damit auch keine Silobildung, dass jemand auf dem Wissen alleine sitzt.
Inselwissen? Nein, da haben wir viele Instrumente um dem vorzubeugen: Wir machen regelmäßig Workshops, regelmäßige Jour-Fixes und Teammeetings. Inselwissen ist ein No-Go in der Kanzlei. Das Wissen soll idealerweise bei 100% der Mitarbeiter sein. Das wird man nie schaffen, aber zumindest, wenn es nicht bei 100% der Mitarbeiter ist, sollen 100% der Mitarbeiter die Möglichkeit haben, auf dieses Wissen zugreifen zu können.
Kann man Führung lernen?
Wenn jetzt ein neuer Mitarbeiter in die Scanlan Steuerkanzlei kommt, dann kann er oder sie sich darauf einstellen, dass immer jemand da ist, der sie unterstützen wird und dass auch sie unterstützen können, sodass es ein Geben und Nehmen ist.
Ja. Jeder darf sich einbringen. Jeder Vorschlag, der sinnvoll ist, wird auch anerkannt und umgesetzt. Wenn jemand einen sinnvollen Vorschlag hat, dann wird er wahrgenommen. Wenn ein anderer im Team das auch als sinnvoll empfindet, sollen sich diese beiden miteinander besprechen. Wenn sie beide der festen Überzeugung sind, dass das sinnvoll ist, dann tragen sie es vor, wir überlegen nochmal von der anderen Seite. Wenn man dann zu dem Schluss kommt, dass das eine super Idee ist, dann wird das sofort umgesetzt.
Der Mentor ist immer der direkte Ansprechpartner. Frau Müller hat den Vorschlag, ob dies oder das nicht sinnvoll wäre. Der Mentor unterstützt diese Idee. Wir diskutieren kurz darüber und wenn es passt, wird es gemacht. Es ist eine… Demokratur (lacht). Die letzte Instanz der Entscheidung ist natürlich nicht demokratisch, das wollte ich damit sagen. Die wird dann am Ende des Tages natürlich schon entschieden. Aber jeder Vorschlag wird gehört und gesehen. Nicht weil jemand übergeordnet ist, sondern weil der Vorschlag sinnvoll ist. Das ist der entscheidende Unterschied.
Inzwischen gibt es ja Möglichkeiten Führung zu studieren, z. B. als Master of Business Administration. Wie siehst du das, kann man so lernen Führungskraft zu sein?
Es kommt darauf an, an welcher Position der Führung ich stehe. Ein Steve Jobs hat nie gelernt Apple zu sein. Das war eine Idee. Der feste Glauben an diese Idee und an die Umsetzung. Und die Fähigkeit sich Multiplikatoren zu suchen, die diese Idee vorantreiben.
In der nächsten Ebene kann ich die Werkzeuge für Führung studieren. Aber die oberste Position kann man nie lernen, das ist eine Fähigkeit, die man besser oder schlechter beherrscht – Unternehmenslenker sind Visionäre. Führung zwischen diesen Ebenen kann man schon erlernen, aber nicht alles.
Es hilft schon, wenn man von den Dingen, die man vorantreiben soll, eine Ahnung hat. Ich kann meinem Personal nicht sagen, die Bilanz schneller fertigzustellen, wenn ich gar nicht weiß, wie Bilanzierung geht. Wenn ich aber eine Bilanz selber schon erstellt habe, weiß ich besser, wie die Prozesse dahinter liegen. So kann ich denjenigen natürlich anders führen und auch Hilfestellung geben. Und das muss man schon lernen. Man kann nicht nur führen. Man kann nur führen mit Verstehen. Du musst dich zumindest in Probleme einarbeiten können. Und wenn ich diese Fähigkeit besitze, dann kann ich Führung natürlich lernen. Ich kann nicht ohne Know-how führen, das geht nicht. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Rat an angehende Führungskräfte
Welchen Rat würdest du angehenden Führungskräften geben, den du gerne selber als angehender Chef bekommen hättest? Was hättest du gerne vorher gewusst?
Der erste Rat ist: Stelle nie die Erwartung zu hoch. Nicht der Mitarbeiter ist zu schlecht, sondern du führst schlecht. Ich glaube der Unterschied zwischen guter und weniger guter Führung ist, was ich dem Mitarbeiter zutraue und ob ich ihm vertraue. Diese zwei Dinge liegen eng aneinander und ich muss es riskieren – auch mit der Gewissheit, dass Fehler passieren. Wenn ich das nicht tue, werde ich niemals gut führen können. Das ist aber der schwere Weg. Und: Tue nichts, was du nicht selbst erleiden wollen würdest. Verlange nichts von anderen, was du selber niemals akzeptieren würdest, wenn das von dir verlangt werden würde.
Vielleicht auch: Fasziniere dein Gegenüber bzw. überzeuge ihn, dass es richtig ist dir zu folgen. Wenn ein Team überzeugt ist von dem, was es tut, dann folgt es blind. Das Vertrauen, das man nach unten gibt, bekommt man auch von unten nach oben. Selbst wenn man sich gegen alle stellt: Auch dann wird das Team folgen, weil sie wissen, das hat er schon mal gesagt und das hat funktioniert und deswegen machen sie es wieder.
Wenn (der FC-Bayern-Trainer) Hansi Flick seinen Leuten sagt: Wir spielen gegen Lazio so oder so. Da könnten alle außen herum sagen, dass das falsch ist. Solange die Mannschaft weiß, sie haben das schon mal geschafft und haben ganz andere Kaliber rausgeschossen, dann machen die das, weil sie genau darauf vertrauen, dass ihr Trainer eine Idee hat. Und genau dieses Gefühl kann ich durch Vertrauen und durch Vorangehen schaffen.
Andersherum würde die Fußballmannschaft machen, was sie will, wenn sie nicht das Gefühl hat, dass der Trainer weiß, wie er sie zu Höchstleistungen führt.
Der Flick hat alle Titel gewonnen, die man gewinnen konnte. Nicht, weil er der Übertrainer ist. Ich glaube, dass der Unterschied zu (dem vorherigen FC-Bayern-Trainer) Kovac ist, dass ihm die Mannschaft folgt, weil er für jeden Einzelnen die Ansprache findet, die er braucht. Deshalb herrscht auch ein Urvertrauen ihm gegenüber, das so umzusetzen, wie er es meint, damit das Team erfolgreich ist. Und in dem Moment, wo die Mitarbeiter das Vertrauen verlieren, verliert das Unternehmen.
Also die Quintessenz ist Mitarbeiter oder Fußballspieler nicht zu verunsichern, selber dran zu glauben, fachlich versiert zu sein und immer einen Plan in der Schublade haben.
Ja, und sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Die sind ein schlechter Ratgeber, sehr oft. Meine Frau sagt immer: „Wieso reagierst du denn so ruhig und gefasst, da musst du doch mal auf den Tisch hauen.“ Was bringt mir das? Das bringt mir nur Ärger und im Zweifel eine Kündigung. Man muss es zur Kenntnis nehmen und sich überlegen, was liegt an einem selbst oder was ist die Botschaft, die er einem sagen will, und das zu ändern.
Ich glaube zu einer guten Führung gehört auch, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Dass man sieht, wenn die eine nicht funktioniert, man seine Ausrichtung korrigiert, um am Ende wieder an den richtigen Punkt zu kommen.
Auch die Fähigkeit besitzen zu sagen, dass die Idee vielleicht eine Sch***idee war. In unserer Gesellschaft sollte diese Fehlerkultur viel mehr nach oben gefahren werden. Fehler bringen einen voran, weil man Erkenntnis gewinnt. Wenn man denselben Fehler zwei Mal macht, dann ist man ein Idiot – man weiß ja schon, dass das ein Fehler ist. Aber zumindest diesen ersten sollte man machen dürfen. Der ist ganz wichtig.
Die richtige Fehlerkultur
Dann muss man auch als Führungskraft dem Mitarbeiter sagen, wenn etwas ein Fehler war. Man darf es nicht beschönigen, weil dann der Lerneffekt im Prinzip weg ist.
Richtig, ich muss – das meine ich mit Fehlerkultur – auch mal eingestehen, das war jetzt richtig sch***e, das war falsch. Sorry dafür, wir müssen einen anderen Weg gehen. Das haben wir bis in unsere hohe Politik nicht. (lacht) Da sieht man wie schwer das ist.
Die Deutschen sind auch nicht bekannt für ihre produktive Fehlerkultur.
Wir wollen alles perfekt machen und machen es dafür am unperfektesten überhaupt. Sieht man an der Impfstoffbeschaffung, an den Masken, an der Nachverfolgung, an dem Datenschutz usw. und sofort. Bei uns sterben die Menschen, aber Hauptsache der Datenschutz ist gewährleistet. Die Hierarchie ist irgendwo falsch.
Man hätte alles pragmatischer angehen sollen. Bei so einer Pandemie, musst man aus der Hüfte schießend reagieren können, wenn man nicht darauf vorbereitet ist und man eben keinen Plan in der Schublade hat. Wie wir anscheinend nicht hatten.
Ja, da muss man auch sagen, bevor wir jetzt das Ganze wieder kaputt reden, jetzt probieren wir es erst mal. Und lass doch den Datenschutz Datenschutz sein. Derjenige kann diese Fahne hochhalten, der kein Facebook, kein WhatsApp, kein Instagram, kein Zoom, kein Teams und gar nichts davon hat und auch keine Kreditkarte einsetzt und auch nicht telefoniert. Dem nehme ich es ab, allen anderen nicht. Von daher sollten wir doch der Gesundheit wohlgesonnen sein und auf diesen Pseudodatenschutz verzichten können. Aber selbst diese Erkenntnis zu kommunizieren ist nicht da.
Jetzt hab ich extra das Thema schon so ausgewählt, dass wir nicht über Corona reden müssen und sind doch wieder bei dem Thema gelandet. (lacht)
Das war nur so ein schönes Beispiel.
Ja auf jeden Fall, ganz am Anfang hat es ja auch gut funktioniert. Und da waren die Zahlen ganz passabel.
Weil man da pragmatisch gehandelt hat, weil man es nicht besser wusste und nicht besser konnte und dann hat man’s einfach gemacht. Und siehe da, es war erfolgreich. Und auch bei dem Impfstoff, ob der 10, 15, 30, 50 oder 100 € kostet, ist völlig irrelevant. Das, was es an Schaden produziert hat, dass man es nicht getan hat, ist viel größer.
Das Vertrauen erodiert dadurch. Es ist überall dasselbe. Wenn jemand sagt: „Hey, ich mache das“, dann gewinnt er Vertrauen und die Menschen folgen. Man muss halt auch den A**** in der Hose haben, um diese Entscheidung jetzt zu fällen. Vielleicht ist sie falsch, wir werden es sehen. Aber das machen wir erst einmal so. Am Ende bin ich fest davon überzeugt, dass eine Entscheidung mit Fehlern besser ist, als gar keine. Natürlich hat jeder Angst irgendetwas Falsches zu entscheiden. Dann wird es garantiert wieder so sein, dass jeder die Schuld auf jeden schiebt. So kommen wir nicht weiter.
Vielen Dank für das Gespräch!
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